Erika Funk-Hennigs (Braunschweig)

Zum Phänomen "Lindy Hop" gestern und heute

Seit etwa fünfzehn Jahren ist überall auf der Welt eine Wiederbelebung des Lindy Hop Tanzes in Verbindung mit einem Swing-Revival zu beobachten. Diese Tatsache veranlasste die Autorin, den Ursprüngen des Lindy Hop und der Swing-Bewegung in den dreißiger und vierziger Jahren nachzugehen und den Versuch zu unternehmen, eine Erklärung für die Renaissance dieser beiden Phänomene zum Ausgang des 20. Jahrhunderts zu finden.

Nach einer Beschreibung des Phänomens "Lindy Hop" folgt eine Darstellung der Vorläufer der Lindy Hop-Bewegung. Anschließend wird die enge Verknüpfung von diesem Tanz und der Musik der Swing-Aera erläutert. Als Ausgangspunkt und Zentrum der Lindy Hop-Bewegung gilt der Savoy-Ballroom, deshalb wird ihm ein besonderes Kapitel gewidmet. Eine weitere Überlegung gilt der Frage, ob es sich bei der Lindy Hop-Bewegung um eine Jugendkultur bzw. um einen besonderen Lebensstil handelt. Die gefundenen Antworten stellen eine unmittelbare Beziehung zu der in den achtziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstandenen Revival-Bewegung her, die abschließend hinsichtlich ihrer jetzigen Erscheinungsform und ihrem Verbreitungsgrad untersucht wird.

Im Folgenden sollen zu den einzelnen Punkten kurze Erläuterungen erfolgen.

Lindy Hop lässt sich als ein Partnertanz definieren, der Ende der zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Amerika in Verbindung mit dem damals neuaufkommenden Jazzstil des "Swing" entstand. Während der Blütezeit des Swing von Mitte der dreißiger bis zum Ende der vierziger Jahre entwickelte sich der Lindy Hop-Tanz zu einem Lebensstil, in dem die amerikanischen Jugendlichen ihre eigene Kultur, ihre Interessen, Emotionen und Wünsche zum Ausdruck brachten (Pener 1999, 25). Das Zentrum des Lindy Hop-Tanzes bildete der berühmt gewordene Savoy-Ballroom in Harlem. Im Gegensatz zu den damals verbreiteten Standardtänzen bot der Lindy Hop als Partnertanz die Möglichkeit zu Improvisationen und zur Entwicklung neuer Schritte und Tanzbewegungen. 'Breakaways' und 'Swing-Outs' erlaubten den Partnern auch einzeln zu tanzen und individuelle Figuren auszuprobieren. Der Tanz selbst entstand aus mehreren populären Tänzen wie z.B. dem Charleston, dem Two-step und dem Black Bottom. Ebenso wie die drei vorgenannten Tänze wurde der Lindy Hop Tanz von Schwarzen kreiert. Technisch gesehen basiert er auf Grundfiguren, die zwei volle Takte umfassen (eight counts), während sich alle Nachfolger über 11/2 Takte erstrecken (six-counts).

Die ersten Lindy Hop Tänzer gehörten ausschließlich der schwarzen Bevölkerung an, so auch die Lindy Hopper im Savoy der zwanziger Jahre, zu denen Shorty George Snowden, Big Bea, Leroy "Stretch" Jones, Little Bea und George "Twistmouth" Ganaway zählten. Diese Gruppe entwickelte den afrikanisch amerikanischen Tanzstil, indem sie die Paartanzhaltung zu lösen begann und einige improvisierte Solo-Schritte einführte. Zwischen Swing-Musik und Lindy bestand eine große Nähe, da die Jazztänzer sich ganz konzentriert auf die musikalischen Vorgaben einließen. Für nahezu ein Jahrzehnt war der Lindy Hop nur einer kleinen Gruppe, einer Art Folk-Avantgarde, vertraut und wurde von Amateurtänzern in den wenigen großen Städten aufgeführt.

Als nach der 1929 begonnenen Depression unter politisch veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen ein Aufschwung spürbar wurde, gelang auch dem Swing der Durchbruch in Amerika. Verantwortlich dafür war Benny Goodmann mit seinem Orchester, der an der Westküste in Kalifornien die ersten großen Erfolge erzielte. Ende der dreißiger Jahre bildeten sich über hundert neue Swing Bands und breiteten sich über das ganze Land aus. Parallel zu den Big Bands entstanden überall neue Ballhäuser und große Tanzsäle wie z.B. das Hollywood Palladium, das über tausend Paaren Platz zum Tanzen bot.

Der Savoy-Ballroom, am 12. März 1926 in Harlem eröffnet, bildete das Zentrum des ursprünglichen Lindy Hop Tanzes. Er war der erste größere Tanzsaal, in dem schwarze und weiße Jugendliche und Erwachsene ohne Rassenprobleme tanzen konnten. Vorher war dies nur in Harlem in kleineren Musik- und Tanzlokalen um die 133. Straße herum möglich gewesen (Günther 1980, 136). Man könnte diese Orte auch als die Geburtsstätten der Aufhebung der Rassentrennung begreifen. Im Laufe der folgenden Jahre spielten über 250 der besten Jazz-Bands im Savoy. Cab Calloway und Duke Ellington gehörten zu den ersten schwarzen Musikern, die für Innovationen sorgten. Ihnen folgten Jimmie Lunceford und Lucky Millinder, denen es bis dahin nur gestattet war, in schlechter bezahlten Clubs in den schwarzen Vierteln aufzutreten.

Die Begeisterung für den Swing schlug sich auch in Swing-Wettbewerben nieder, so z.B. in einem von Jimmy Dorsey und Earl Hines durchgeführten Freiluft-Swingkonzert im Jahre 1938 in Chicago, das über 100.000 Fans anzog und in seiner musikalischen Intensität mit den Woodstockfestival verglichen werden kann (Pener 1999, 25).

Eine Schlüsselrolle in der Entwicklung und Verbreitung des Lindy Hop spielte der legendäre Herbert White, auch Whitey oder Mac genannt. Als ein begeisterter Tänzer war ihm sehr früh bewußt, welche Faszination der Lindy Hop Tanz ausüben konnte. Er hatte ein gutes Gespür für junge Leute und konnte auf Anhieb erkennen, ob jemand sich dazu eignete, ein guter Tänzer zu werden. Mit ungeheurer Energie verfolgte er das Ziel, eine Tanzdynastie aufzubauen. Seine Haupttänzer waren Leon James und Frank Manning. Frank Manning galt als der beste Vertreter des Lindy Hop Tanzes. 1936 entwickelte er eine besondere Bewegung, den Luftsprung (aerial), der dem Lindy Hop ein neues Gesicht gab. Niemals zuvor hatte irgendjemand einen Partner in die Luft geworfen, herumgewirbelt und wieder aufgefangen. Mit Manning gründete Whitey das erste Tanz-Ensemble, das den Tanz zu einem künstlerischen professionellen Akt umgestaltete.

Für die jährlich stattfindenden Wettbewerbe wählte er seine vier besten Paare aus: Leon James und Edith Mathews, Frank Manning und Maggie McMillian, William und Sarah Downes und Billy Hill und Norma Miller. Ihr Erfolg überdauerte die nächsten sechzehn Jahre. Reisen von der Ostküste zur Westküste, durch mehrere Länder Europas wie England, Frankreich und die Schweiz, nach Australien und Südamerika sorgten für die Verbreitung des Lindy Hop Tanzes und den weltweiten Erfolg des Ensembles. Innerhalb von fünf Jahren hatte Whitey es geschafft, den Lindy Hop von einer Tanzhallenaktion zum größten Ereignis im Showbusiness zu verwandeln.

Auf dem Höhepunkt angelangt, stellte der Swing nicht nur eine Verbindung von Musik und Tanz dar, sondern hatte sich zu einem spezifischen Lebensstil herausgebildet. Pener spricht in diesem Zusammenhang von der ersten echten Jugendkultur auf dem amerikanischen Unterhaltungssektor (Pener 1999, 25). Dies bestätigt eine von Lewis A. Erenberg in den 1990er Jahren gestartete Umfrage von über dreihundert Personen (Erenberg 1998, XIV). John Gennari betont, dass die Swing-Jugend durch ihre Kenntnis der Musik und der dazugehörigen Tanzformen diese Art der Kunst demokratisierte und dafür sorgte, die alten, patriarchalischen Überreste der bis dahin vorherrschenden Kulturvorstellungen zu überwinden (vgl. Gennari ) Die unter den Jugendlichen immer größer werdende Begeisterung für die Swing-Musik war auch ein Ausdruck für die Wiederbelebung der nationalen Kultur Amerikas. Swing wurde als ein Phänomen begriffen, das die Kluft zwischen Rassen und Klassen zu überwinden vermochte. Die schwarzen Big Bands spielten für das Selbstbewusstsein der schwarzen Bevölkerung eine mächtige Rolle und die einzelnen Musiker wurden für die schwarzen Jugendlichen zu beliebten Helden (Erenberg 1998, XV).

Bevor der Swing den Gipfel seines Ruhms erreichte, protestierten viele gegen diesen ekstatischen Tanz, der auch als Raserei oder Wahnsinn empfunden und diffamiert wurde. Psychologen warnten vor einer bevorstehenden Massenhysterie. Auch der Begriff Faschismus wurde im Kontext mit der Swing-Musik gebraucht. Damit sollte die massenpsychologische Wirkung der Musik zum Ausdruck gebracht werden.

Andere Kritiker verstanden den Swing als positiven Ausdruck der modernen Jugend. Einige Verteidiger argumentierten, dass er eine demokratische Form künstlerischen Ausdrucks darstelle. Wieder andere sprachen von einer nationalen Kunstform, die zwar von Schwarzen geschaffen worden sei, sich dann aber in der gesamten pluralistischen Gesellschaft ausgebreitet habe. Schließlich waren sich Verteidiger wie Angreifer darüber einig, dass der Swing der Mittelpunkt der nationalen Jugendkultur Amerikas sei und Klassenunterschiede, ethnische und Rassenunterschiede zu überwinden trachte (Erenberg 1998, 37/38).

Wie auch in späteren Jugendkulturen entwickelte der Swing seine eigene Sprache wie sie von Cab Calloway in seinem "Hepster's Dictionary" verbreitet wurde. Auch eine spezifische Kleidung, über die man sich als Swing- Anhänger definierte, durfte nicht fehlen. Die Kleider waren mit Schmetterlings- oder Puffärmeln ausgestattet, die Rocksaumlänge erreichte wieder die Fußenkel. Die jungen Mädchen legten sehr viel Wert darauf, feminin auszusehen, daher waren auch die Halsausschnitte tiefer als vorher. Es herrschte große Nachfrage nach Assessoires wie Pelzen, Chinchillas, Persischen Lammfellen und Silberfüchsen. Ledertaschen wurden modern. Die Schuhindustrie bot den Frauen eine große Auswahl. Schnürschuhe, flache Schuhe und Pumps durften ebenso getragen werden wie Schuhe mit breiten dicken Absätzen (vgl. Nolan o.J.). In der körperbetonten Kleidung wirkten die Frauen sehr anziehend, ihr Aussehen verlangte Achtung und Respekt. Die wachsende Unabhängigkeit der Frauen drückte sich in ihrem Kleidungsstil aus.

Unter den Jazzern waren doppelreihig geknöpfte Jacken, breite und bewegliche Schulterpartien und Ärmel, die bis zu den Handgelenken reichten, ein "Muss". Männliche Eleganz verlangte nach Jacken mit breiten Jackettumschlägen und schmalen Taillen (vgl. Nolan o.J.). Smokings und weiße Schlipse gehörten zu dem bevorzugten Outfit, dazu breite Hosenaufschläge und zweifarbige Schuhe zu dem sogenannten Hollywood-Style. Die einzelnen Musiker versuchten, sich durch spezielle Besonderheiten von den anderen abzuheben. Die Kleidung sollte Selbstvertrauen ausdrücken, wirkte jedoch manchmal prahlerisch. Dennoch, so Pener, erwartete man von jemanden, der diese Kleidung zur Schau trug, Höflichkeit, Kultiviertheit, Eleganz und korrektes Benehmen.

Die Swing-Revivals der 1980er und 1990er Jahre knüpft gerade an diesen Gewohnheiten wieder an. Nach Pener kommen für die Wiedergeburt des Swing und des Lindy Hop Tanzes unterschiedliche Gruppen in Frage. Freunde der Rockabilly-Musik, Ska-Fanatiker und frühere Punk-Rocker entdeckten in Auseinandersetzung mit den Ursprüngen ihrer Musikvorlieben die Swing-Musik wieder, darüber hinaus gibt es nach wie vor einige Musiker und Lindy Hoppers aus der Swing-Ära der dreißiger und vierziger Jahre. Gemeinsam ist bei alten wie jungen Swing-Anhängern der Wunsch, die originale Swing-Musik wieder zu beleben und mit ihr die Frische und die Kraft, die von dieser Musik ausgeht, zu spüren.

Wenn der Swing auch über die Jahrzehnte hin nicht ganz verschwunden war, begann die Neo-Swing-Szene als eine spezifische kulturelle Bewegung erst Anfang der 1980er Jahre. Die ersten Vorboten der heutigen Versessenheit nach Swingmusik kamen aus London, wo Ray Gelato und die Chevalier Brothers ein Album über Swing-Musik von Louis Jordan und Cab Calloway herausbrachten.

In Amerika begann die Swing-Renaissance zunächst an der Westküste. 1989 gab Eddie Nichol's Royal Crown Revue, eine ehemalige Punk-Band von Los Angeles, das erste Swing-Konzert. Sie hatte sich zunächst mit dem jump Blues von Louis Prima und Louis Jordan auseinandergesetzt und sich dann allmählich mit den wichtigsten Swing-Musikern beschäftigt. Ausgehend von Rockabilly, Blues und Punk schufen Nichols und seine Band einen Sound, den sie "hardboiled swing" oder "gangster bop" nannten. Im Gegensatz zu vielen Bands, die sich auf das Erlernen der alten Hits aus der Swing-Aera beschränkten, kreierte die Royal Crown Revue eigene Texte und originale Musik. Sie verband Elemente ihrer Punk-Musik mit dem Swing und erreichten dadurch die Aufmerksamkeit der jüngeren Generation. Bei ihren Auftritten in verschiedenen Städten entschieden sie sich, nicht in Jazz-Clubs, sondern in Rock-Clubs zu spielen.

Viele Neo-Swing-Bands sind dem Beispiel der Royal Crown Band gefolgt. In San Francisco wurde die Kleidung alsbald ebenso wichtig wie die Musik. Die Besucher der Swing-Clubs überboten sich darin, Kleider aus den vierziger Jahren aufzutreiben oder den Stil nachzuahmen. Pener schreibt, dass die jungen Leute das Tragen dieser Kleidung als eine Art Rebellion verstanden und sich bewusst von der durch Piercing und Tattoo bestimmten Mode der Zeit absetzen wollten (Pener 1999, 46). Die jungen Frauen versuchten mit dieser Kleidung ihre feminine Seite zu betonen, während die jungen Männer ihr maskulines Verhalten unterstrichen.

Parallel zu den Musikern suchte auch eine kleine Gruppe von Tänzern nach den Wurzeln des Swing. Konnten sich die Musiker an alten Plattenaufnahmen orientieren, blieb den Tänzern nur eine kleine Auswahl an Filmen, auf denen sie den Savoy-Stil des Lindy Hop studieren konnten. In New York existierte noch ein loses Netzwerk ehemaliger Savoy-Tänzer, das nun von den neuen begeisterten Swing-Anhängern aufgespürt wurde

1985 schlossen sich elf Swing-Tänzer zusammen und gründeten die New York Swing –Tanz-Gesellschaft.. Der Cat Club bot ihnen Auftrittmöglichkeiten an. Manning, ehemaliges Mitglied der Whitey´s Lindy Hoppers, übernahm die Rolle des Mentors. Es dauerte nicht lange, bis der Club zu einer zentralen Anlaufstelle für Swing-Tänzer auf der ganzen Welt wurde.

Auch auf San Francisco griff das Swing-Tanz-Fieber über. Dort gründete sich 1994 die Lindy group Work That Skirt, während die weltbekannte Truppe Flyin' Lindy Hoppers nach Ventura zog, wo auch Big Bad Voodoo Daddy gastierte.

Im Laufe der 1990er Jahre wurden in vielen Bundesstaaten der USA Swing-Clubs und Tanz-Klassen eröffnet (vgl. Pener 1999, 196ff.). Auch an die Tradition des Wettbewerbes unter verschiedenen Tanz-Partnern wurde wieder angeknüpft. Auf internationaler Ebene sind Swing-Clubs und Tanzklassen in folgenden Ländern bekannt geworden: Australien, Kanada, Frankreich, Deutschland, Japan, Niederlande, Neu-Seeland, Singapure, Schweden, Schweiz und Groß-Britannien (vgl. Pener 1999, 221-224). Per Internet sind heute viele Adressen abzurufen, Termine zu Veranstaltungen werden bekannt gegeben, Buch-, Film- und Plattenempfehlungen weitergeleitet.
 

Literatur

Erenberg, Lewis A. (1998). Swingin' the Dream. Big Band Jazz and the Rebirth of American Culture. Chicago.

Günther, Helmut (1980). Jazzdance – Geschichte/Theorie/Praxis. Wilhelmshaven.

Miller, Norma with Evette Jensen (1996). Swingin' At The Savoy. The Memoir of a Jazz Dancer. Philadelphia.

Nolan, Carol (o.J.). Ladies Fashions of the Nineteen-Hundred Thirties. Ed. by Julie Williams. http://www.lindyhopping.com/fashionhistm.html (Stand v. 27.2.2002).

Pener, Degen (1999). The Swing Book. Boston, New York, London.

Stearns, Marshall u. Jean (1994). Jazz Dance. The Story of American Vernacular Dance. New York.

Vale, V. (1998). SWING! The New Retro Renaissance. V/Search Publications. Hong Kong.
 

Prof. Dr. Erika Funk-Hennigs
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